Rückkehr des Heine-Denkmals in die Friedberger Anlage

Wie alles begann
Porträt von Heike Drummer
28. September 2023Heike Drummer

Am 20. September 2023 war es endlich soweit: Das Heine-Denkmal kehrte zurück in die Friedberger Anlage – ganz in die Nähe seines ursprünglichen Standortes. Die 110jährige Odyssee ging mit einem beeindruckenden Festakt, organisiert von der Initiative 9. November e. V., zu Ende. Heike Drummer, unsere Kuratorin für Zeitgeschichte, schildert in diesem Blogbeitrag, wie alles begann.

Die Stadt Frankfurt am Main realisiert das erste Heine-Denkmal

Grundsteinlegung zum Heine-Denkmal an der Friedberger Anlage. Ansprache von Bürgermeister Georg Voigt © Jüdisches Museum Frankfurt
Grundsteinlegung zum Heine-Denkmal an der Friedberger Anlage. Ansprache von Bürgermeister Georg Voigt © Jüdisches Museum Frankfurt

Die Aufstellung von Denkmälern im Frankfurter Stadtraum ist bis heute ein Akt, den mitunter heftige Debatten zwischen politischen Instanzen und der Öffentlichkeit begleiten. Ganz besonders galt dies im 19. und 20. Jahrhundert bei der Errichtung von Denkmälern, die jüdische Persönlichkeiten würdigten, von jüdischen Stiftungen initiiert oder von jüdischen Künstlerinnen und Künstlern ausgeführt wurden. Judenfeindliche Reaktionen waren keine Seltenheit und mit der Einweihung der Denkmäler endeten diese in der Regel nicht.

Im Juni 1910 hatte sich unter Paul Fulda, Vorsitzender der Frankfurter Freien Literarischen Gesellschaft, das „Comité zur Errichtung eines Heine-Monumentes“ in Frankfurt gegründet; auf Wunsch des Gremiums sollte das geplante Kunstwerk explizit den Dichter und nicht den Revolutionär Heinrich Heine würdigen. Am 30. Oktober 1912 richtete Georg Swarzenski Anfragen an die Bildhauer Georg Kolbe, Fritz Klimsch und Fritz Hub, in denen der Direktor des Städelschen Kunstinstituts ausdrücklich eine freie künstlerische Schöpfung für das Denkmal wünschte. Schließlich erhielt Georg Kolbe den Auftrag zur Umsetzung – er ließ sich dabei allerdings weniger von dem dichterischen Werk Heinrich Heines als vielmehr von russischen Tänzern inspirieren. „Dem Dichter Heine“ stand schließlich unter einem Porträtrelief auf dem Sockel.

Schon im Vorfeld hatten heftige antisemitische Anfeindungen die Einweihung des Denkmals „Tanzender Jüngling“ am 13. Dezember 1913 zum 116. Geburtstag Heinrich Heines in der Friedberger Anlage, unmittelbar bei der 1907 fertiggestellten Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft, begleitet. Anfänglich war für das Denkmal ein Platz in der Liebigstraße/Ecke Grüneburgweg vorgesehen gewesen – im bürgerlichen Westend. Kritiker des Standortes im Ostend vermuteten seinerzeit, das Denkmal solle eher versteckt werden: „ein verschämtes Plätzchen in der Friedberger Anlage“ mutmaßte etwa die „Volksstimme“.

 

Kunsthistoriker Paul F. Schmidt, in: „Die Rheinlande“

Frankfurt hat wieder seinen Ruhm eines liberalen Gemeinwesens um ein gutes Stück vermehrt. Es ist nicht nur die Stadt in Deutschland, die seit dem 13. Dezember das erste öffentlich aufgestellte Heinedenkmal besitzt, sondern es hat auch dafür gesorgt, daß dieses Denkmal ein Kunstwerk geworden ist.

Judenfeindliche Schändungen

Das Heinrich-Heine-Denkmal in der Friedberger Anlage in Frankfurt am Main. Postkarte mit Mundartgedicht, 1913-1933 © Jüdisches Museum Frankfurt
Das Heinrich-Heine-Denkmal in der Friedberger Anlage in Frankfurt am Main. Postkarte mit Mundartgedicht, 1913-1933 © Jüdisches Museum Frankfurt

Im Jahr 1923, nach dem „Hitler-Putsch“ in München, wurde das Denkmal von Unbekannten mit einem Hakenkreuz beschmiert. Im April 1933 stürzte ein Mob das Kunstwerk vom Sockel. Valentin Senger erinnerte in seinem Roman Kaiserhofstraße 12 an die Schändung durch Mitglieder der Hitler-Jugend. Laut einem Artikel im „Frankfurter Generalanzeiger“ wurde die bronzene Figurengruppe brachial mit einem Stemmeisen gelöst und sollte alsdann ins Völkerkundemuseum (sic!) gebracht werden – eine antisemitische Botschaft, die Georg Swarzenski, Generaldirektor der Frankfurter Museen, erkannte und zugleich tief erschütterte.

Schreiben von Georg Swarzenski an Georg Kolbe

Die Notiz (mittags erschienen) ist doppelsinnig. Aber der Schlußsatz verrät, daß es programmatisch ist. … Ich werde morgen gleich das Einzige versuchen, was ich tun kann: daß die Gruppe wenigstens in den Städel kommt.

Der schon bald politisch angepasste Bildhauer Georg Kolbe äußerte sich ebenfalls: „… das soll wohl die Strafe sein, daß ich mich dazu hergab, einem ‚Juden‘ ein Denkmal zu arbeiten.“ Getarnt unter dem neuen Namen „Frühlingslied“ überdauerte das leicht beschädigte Kunstwerk die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs im Garten des Städel-Museums.

Am 14. Dezember 1947 wurde das Denkmal zum 150. Geburtstag Heinrich Heines wieder aufgestellt – allerdings nicht mehr in der Friedberger Anlage, sondern in der stadttopografisch gegenüberliegenden Taunusanlage. Es erhielt einen neuen Sockel und ein Porträtrelief mit dem Schriftzug „Heinrich Heine“. Das Zeremoniell der Einweihung übernahm Oberbürgermeister Walter Kolb.

Im Dezember 1964, zur Zeit des 1. Frankfurter Auschwitz-Prozesses, verübten Unbekannte einen Anschlag auf das Heine-Denkmal; das Profilbildnis auf dem Sockel wurde mit Gips zugeschmiert.

 

2023: Heine meets Shylock

Es gab und gibt in Frankfurt politische Ereignisse, die den Charakter einer Zäsur in sich bergen. Dazu mögen in der Vergangenheit etwa die Fassbinder-Kontroverse 1985, der Börneplatz-Konflikt 1987, die Eröffnungen des Jüdischen Museums und des Museums Judengasse 1988 beziehungsweise 1992, die Einweihung der Gedenkstätte am Börneplatz 1996 sowie die Walser-Rede in der Paulskirche 1998 gezählt haben. Anwesende konnten dabei erahnen, dass sie Zeug:innen eines besonderen Momentes waren und die Erinnerung daran sich nachhaltig einschreiben würde.

Solch ein Moment war nun die Rückkehr des Heine-Denkmals in die Friedberger Anlage. Warum?

Der Rahmen war feierlich, die sonst stark befahrene Friedberger Anlage nachmittags eigens für den Verkehr gesperrt worden. Vor dem Hochbunker und der Gedenkstätte hatten die Veranstalter:innen ein Rednerpult und Sitzgelegenheiten installiert. Es gab Grußworte, der Heine-Chor sang und der Historiker Björn Wissenbach stellte den rund 200 Gästen seine gerade erschienene und lesenswerte Publikation Heine vor Ort vor.

Und dann gab es da noch die kunstfertige, akrobatische Performance Shylock erklärt Shylock mit dem Schauspieler Jacob Gail; basierend auf Textauszügen von Heinrich Heine aus Shakespeares Mädchen und Frauen (1838) unter der Regie von Willy Praml, Theater Willy Praml. Gail, allein bekleidet mit silberfarbenen Boxershorts und einem braunen Fellbademantel, auf dem Rücken ein appliziertes Fadenkreuz, rezitierte in herausragender Weise aus dem berühmten Shylock-Monolog:

William Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig, 3. Akt, 1. Szene

Wenn ein Jude einen Christen beleidigt, was ist seine Demut? Rache. Und wenn ein Christ einen Juden beleidigt, was muss seine Geduld sein nach christlichem Vorbild? Nu, Rache.

Einweihung Heine-Denkmal in Frankfurt am Main. Foto: Salome Roessler / lensandlight
Einweihung Heine-Denkmal in Frankfurt am Main. Foto: Salome Roessler / lensandlight

Das Besondere daran scheint von der Presse gar nicht erkannt worden zu sein, zumindest wurde es in der Berichterstattung mit keiner Silbe erwähnt. Gail nämlich hatte sich die berühmte Aufnahme Fritz Kortner spricht Monologe für eine Schallplatte (Regie: Hans-Jürgen Syberberg, 1966) des Remigranten Kortner zum Vorbild genommen – mit den erschütternden, hier nun das Frankfurter Ostend durchdringenden Rache-Schreien am Ende des Monologs, von Jacob Gail noch gesteigert durch den Einsatz eines Mikrofons. Verstörend und gleichzeitig beschämend hallte die Kränkung, die Empörung gegen Jahrhunderte alte Judenfeindschaft, Jahrhunderte alte Diskriminierung in der Umgebung nach. In der benachbarten Wohnanlage standen Neugierige auf ihren Balkonen, ein Mann putzte die Fenster.

Vor zehn Jahren noch waren sich die Teilnehmenden eines Podiums im Chagall-Saal der Städtischen Bühnen Frankfurts einig, dass Kortners Shylock-Interpretation in dieser Monstrosität das Theaterpublikum nicht mehr ansprechen würde. Es handelte sich um die Abschlussveranstaltung zur Ausstellung „Juden. Geld. Eine Vorstellung“ des jüdischen Museums. Ob die Beurteilung vor dem Hintergrund des stetig ansteigenden Rechtsextremismus und Antisemitismus auch heute noch so ausfiele?

Heinrich Heine – der Streiter für Aufklärung und Gerechtigkeit, der Dichter und Revolutionär, der Exilant – hatte zu seinen Lebzeiten unter dem Judenhass gelitten und der schändliche Umgang mit der Erinnerung an ihn im 20. Jahrhundert ist sprechend. Bleibt zu hoffen, dass das Heine-Denkmal nun an seinem alten Platz gebührend gewürdigt und nicht neuerlich geschändet wird.

Kommentare

Was währen die Deutschen ohne Heine ?

09.10.2023 • Axel Peltzer

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